
Freiheit vs. Sicherheit: Was macht uns glücklich?

Ein selbstbestimmtes und freies Leben ist offenbar das höchste Ideal und entspricht dem größten Glück unserer Generation. Gleichzeitig müssen wir irgendwie wirtschaftlich sicher sein, um all unsere Pläne verwirklichen zu können. Schließt das eine das andere aus? Was bedeutet hier eigentlich „frei sein“? Und geht die Rechnung Freiheit = Glück überhaupt auf?
Stell dir vor, heute wäre der letzte Tag deines Lebens. Hättest du ihn frei und selbstbestimmt gelebt als wäre es dein Letzter? Ich wette, viele würden diese Frage verneinen. Bei all den täglichen Verpflichtungen in unserem kontrollierten Leben ist es doch auch schwer, den Tag frei und für sich sinnvoll zu gestalten. Neulich im Garten meiner Freundin Lisa, haben wir uns genau diese Frage gestellt. Die Antwort gefiel uns nicht. Zugegeben, kurz zuvor waren wir auf dem Fusion-Festival gewesen und bei all dem Glitzer, der Liebe und dem Tanz in der Sonne, gerät man schnell in eine Post-Fusion-Depression. „Komm wir eröffnen ne Pommesbude auf Malle und reißen hier die Zelte ab“, witzelte Lisa. Eben eine dieser Ideen, die man hat, wenn man von einer Zukunft in völliger Freiheit träumt und dabei vergisst, dass man sich ja auch gerne in (finanzieller) Sicherheit wähnt und diese nur schwer aufgeben mag. Aber wie funktioniert das, so unbeschwert und ohne Sicherheitsanspruch in der Welt rumzureisen und sein Ding durchzuziehen? Ist das Freiheit? Sind Menschen in Festanstellung automatisch unfrei und unglücklich?
Zeit für selbstbestimmte Entfaltung
Zunächst ist die Frage wie viel ökonomische Sicherheit brauche ich, um das unabhängige und freie Leben zu führen, was ich will. Wiederum schließt sich daran die Frage an, inwieweit mein finanzieller Sicherheitsanspruch meiner Unabhängigkeit und Freiheit im Wege steht. Nach der Uni haben mir diese Fragen regelrecht das Leben schwer gemacht. Als Studentin war das easy. Mein Studium als Daseinsberechtigung, ein Bisschen kellnern, finanzielle Unterstützung von der Familie, Stipendium – das reichte, um zu reisen, die Nacht zum Tag zu machen und meinen Unikram zu erledigen, wann es eben passte. Ich war zeitlich unabhängig und happy damit. Kein Wunder, dass viele ihr Studium bis in die 30er hinauszögern. In meinem Umfeld haben viele diese Art Livestyle auch nach der Uni übernommen, und bestreiten ihr Leben mit Freelancing, Messejobs und eigenen Projekten. So ein flexibles Leben mit Zeit für selbstbestimmte Entfaltung, das wollte ich auch. Kurzzeitig verwarf ich alle bisherigen Karrierepläne. Auf keinen Fall Festanstellung. Menschen in einem festen Anstellungsverhältnis wirkten auf mich plötzlich so unfrei, dass der Eindruck entstand, sie lebten nur für die Arbeit und hätten gar nicht die Muße, sich selbst zu verwirklichen. Leben, um zu arbeiten – Wer will denn sowas?
Das große Dilemma
Relativ schnell realisierte ich aber: Die gewonnene Unabhängigkeit durch den „freien Lebensstil“ ist mit der ständigen finanziellen Unsicherheit, wie ich meine Miete (Reisen, Hobbies…) bezahlen kann, nicht aufzuwiegen. Davon abgesehen: Was ich in dieser verklärten Perspektive auf die Studentenzeit häufig vergesse ist, dass ich nicht selten das Gefühl hatte, rastlos zu sein, keine vorgegebene Struktur zu haben und mich ständig aufs Neue selbst disziplinieren zu müssen. Fand ich auch doof. Und dann? Ich ging arbeiten. Hatte Struktur. Hasste die Struktur. Es war wie das Wenn-ich-Locken-hab-will-ich-glatte-Haare-und-umgekehrt-Prinzip. Man begehrt immer das was man nicht hat. Aber wenn weder die Pommesbude auf Malle, noch das Langzeitstudentenleben, aber auch nicht das Vollzeit-Hamsterrad – Was soll ich denn dann machen? Ist das die erschütternde Erkenntnis? Ist die Entscheidung zwischen Unabhängigkeit/Freiheit und Sicherheit/Struktur eine Entscheidung zwischen Pest oder Cholera?
Die Kunst, frei zu leben
Nein. Aber was bedeutet denn eigentlich „frei“ und „unabhängig“? Freiheit und Unabhängigkeit werden im Grunde als Möglichkeiten verstanden, zwanglos, autonom und selbstbestimmt zu leben und zu entscheiden. Heute, wo ich diverse Lebensformen mal ausprobiert habe, kann ich sagen: Egal ob du 40 Stunden im Büro sitzt, Freelancer bist oder im Lotto gewonnen hast – Nichts davon macht dich per se frei. Ich habe erlebt, dass man als Freelancer schnell Gefahr läuft, sich seinen eigenen Käfig zu bauen, weil man seinem Unabhängigkeitsanspruch kontinuierlich gerecht werden muss. Getriebenheit und Selbstgeißelung können die Folgen sein, weil man dem freien Livestyle nicht in dem Maße gerecht wird, wie man es sich vorgestellt hat. Um das Glück, das von der Freiheit ausgehen kann, wirklich (er-)leben zu können, muss man fähig sein, sich selbst zu disziplinieren und Strukturen zu schaffen. Entsprechend ist man nicht automatisch unfrei, wenn man sich für die (ökonomische) Sicherheitsvariante entscheidet und sich als Arbeitnehmer an eine vorgegebene Struktur anpasst. Ist der bequemere Weg zu wirtschaftlicher Stabilität also besser und meine Freiheit der Preis, den ich dafür zahle? Nein. Manch einer sagt sogar, dass Freiheit ohne ein gewisses Maß an Struktur und Sicherheit gar nicht möglich ist. Und entspricht finanzielle Absicherung, um mir die Dinge leisten zu können, die ich mir wünsche nicht auch einer Art von Glückseligkeit?
Man muss sich bewusst machen: Unabhängigkeit, Freiheit und ökonomische Sicherheit sind soziale konstruiert. Zu glauben, diese wäre per se gegeben und führten uns automatisch zum Glück ist illusorisch und vermessen. Man hat nur so viel Freiheit, wie man sich selbst ermöglicht. Das erfordert, in uns zu gehen und uns zu fragen, in welchen Bereichen unseres Lebens wir unfrei und abhängig sind und was wir daran ändern wollen, um glücklich zu sein. Die schlechte Nachricht zuerst: Wir müssen uns entscheiden, wieviel Struktur, Sicherheit und Freiheit wir brauchen, um glücklich und selbstbestimmt zu leben. Die gute Nachricht zum Schluss: Wir haben es in der Hand, die Weichen jederzeit zu ändern. Vielleicht gibt’s dann doch irgendwann die Pommesbude auf Malle…
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