Zwanghaft selbstoptimiert: Sind wir Tamagochi?

Im Zeichen der Selbstoptimierung versuchen wir heute alle das Beste (und noch mehr) aus uns rauszuholen. Das geht so weit, dass wir uns von einem elektronischen Selbst-Messgerät vorschreiben lassen, wie wir leben sollen. Mensch wird Maschine. Schöne neue Welt?

Erinnert ihr euch noch an dieses kleine eiförmige Ding mit Display, auf dem so ein Küken zu sehen ist, das ständig nach Aufmerksamkeit verlangt? Als ich neun war hatte ich so eins. Irgendwann nervte es mich und ich verbannte es in den Tiefen meiner Krimskrams-Kiste. 20 Jahre später höre ich Menschen sagen „ich muss noch ne Runde um den Block, sonst meckert mein Sports-Tracker“ oder „ich kann das nicht essen, ich hab meine Kohlenhydrate schon voll“. Ganz unwillkürlich kommt mir dabei immer wieder dieses Bild meines alten Tamagochis in den Kopf. Und die Frage: Warum wollen Menschen sich derart kontrollieren?

Schneller, höher, weiter

Neulich hörte ich meinen Mitbewohner Peter aus der Küche fluchen: „Scheiße, Mann! Ich hab viel zu viel gechillt und krieg nix auf die Reihe, ich muss echt mal meine Zeit besser einplanen“. Ich wage mal die Behauptung: So ein leichter Drang zur Selbstoptimierung steckt in jedem von uns. Entspricht ja auch irgendwie unserem Zeitgeist. Mit Selbstoptimierung ist der Versuch eines Menschen gemeint, das Maximum aus seinen Fähigkeiten herauszuholen, um ein Optimum an Leistung zu erbringen. Schneller, höher, weiter. Umgeben von Hinweisen und Ratschlägen zur gesunden Ernährung, beruflichen wie persönlichen Weiterentwicklung, Achtsamkeit, Gesundheit und Körperoptimierung wird uns kontinuierlich suggeriert: Da geht noch mehr. Ich geb’s zu, komplett dagegen bin ich nicht: Bei mir äußert sich Selbstoptimierung zum Beispiel in meinem Langzeitplan mit dem Rauchen aufzuhören. Aber außer verlegenem Hüsteln nix gewesen. Aus Gründen der persönlichen Optimierung habe ich vor zwei Jahren auch meine Glotze verschenkt. Ich identifizierte Fernsehgucken als Zeitverschwendung und wollte meine Dates mit mir selbst künftig kreativer und mehrwertiger gestalten. Ich ersetzte den Fernseher durch meine verstaubten Musikinstrumente, schlaue Bücher, Joggingschuhe und Meditationskissen. „Das ist doch voll Carpe Diem“, dachte ich beim Meditieren vor mich hin. Und wenn ich es diese Woche nicht zum Sport geschafft und stattdessen nur fettigen Fraß in mich reingestopft habe, ärgert mich das irgendwie.

Self-Tracker für Bestwerte

Es geht ja schließlich um meine Gesundheit und darum, mich in meinem Körper wohlzufühlen, fit zu sein. Der Versuch sich selbst zu optimieren artet aber nicht selten in eine krankhafte Kontrolle aus, in der die Selbstoptimierung zum Selbstzweck wird. Prompt liefern uns diverse Unternehmen die passende Lösung: Ein Self-Tracker für Bestwerte. Von einfachen Schrittzählern bis hin zur Tracking-Armband: Gadgets um seine Aktivitäten zu kontrollieren liegen voll im Trend. Sie messen für uns, wie viel oder was wir gegessen haben, ob wir uns ausreichend bewegt haben und ob wir gute oder schlechte Laune haben. Die Anbieter solcher Self-Tracker suggerieren uns, dass wir unsere Aktivitäten selbst nicht beurteilen können. Bequemerweise sorgt ein kleines Maschinchen dafür, dass wir nun die völlige Kontrolle über uns haben um die beste Version von uns selbst zu werden. Ganz nebenbei wird unser Körper damit zu einer riesigen Datenquelle. Wenn man gute Ergebnisse erzielt, kann man diese auch mit vollem Stolz auf sozialen Netzwerken teilen. Mittlerweile hat sich daraus eine ganze Bewegung entwickelt: „The Quantified Self“ (das vermessene Selbst) ist ein Netzwerk, das sich immer mehr Anhängern mit mehr oder weniger krankhaftem Selbstoptimierungszwang erfreut. Mag es einigen auch wichtige Erkenntnisse über ihre Lebensweise liefern. Mir von einer Maschine sagen zu lassen, wie ich leben soll, finde ich trotzdem gruselig und erinnert mich daran, wie damals mein Tamagochi piepste, weil das Küken unzufrieden war.

Das Recht auf Chillen

Beim Stichwort Selbstoptimierung ist für mich die traurigste Erkenntnis: Das geht häufig nach Hinten los. Selbstsabotage statt Wohlfühlen. Weil man die vielen kleinen Ziele, die man (oder der Self-Tracker) sich pro Tag setzt, ja gar nicht erreichen kann. Weder bei der Ernährung noch beim Sport bei Freundschaften und im Job. Aber muss ich mich jetzt jedes Mal schlecht fühlen, wenn ich mich mit Pizza, Bier und Kippe aufs Sofa fläze und Netflix&Chill mache? Nö, sag ich ganz klar. Denn auch Müßiggang ist wichtig, ohne darüber nachzudenken, was ich gerade mit der Zeit alles Besseres und Produktiveres machen könnte. Fast wirkt es so, als wäre faul sein schwer geworden und der Kontrollverlust unser Endgegner im Kampf gegen unsere Unvollkommenheit. Mein Appell also an euch: Ein gesundes Maß an Selbstoptimierung macht Sinn. Aber macht das Chillen nicht zu eurem Feind. Entspannt euch und vertraut darauf, dass ihr am Besten wisst, was gut für euch ist – nicht die Maschine!
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Käthes Empfehlung:

„Wir sind die Neuen“ greift das Thema Selbstoptimierung auf sehr witzige Weise auf. Hier bekommst du den Film für den nächsten verregneten Sonntag:

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